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1981 DIE NACHRICHT

Vorwort
Es stimmt mich nachdenklich und, je länger ich darüber nachdenke, gar nicht euphorisch, wenn ich meinen eigenen Berufsstand kritisch betrachte. Zehn Jahre bin ich nun Journalist. Volontär. Redakteur. Reporter. Wie auch immer. Zehn Jahre hinter dem Zeitgeschehen her. Anfangs bei der Beerdigung des Dorfbürgermeisters, heute bei der Beerdigung eines gekrönten Hauptes. Damals bei der Kreisdelegiertenkonferenz der CSU im Bayerischen Wald, heute beim US-Wahlkampf in New York. Seinerzeit eine Reportage über das örtliche Jugendzentrum, heute über eine Sterbeklinik in London. Szenen einer Karriere, zweifelsohne. Hans Heigert hat gesagt: „Der Beruf des Journalisten ist eitel in des Wortes doppelter Bedeutung: er macht eitel und ist zugleich Schall und Rauch. Der Journalist selbst ist davon überzeugt, daß er nicht nur über alle Vorgänge von allgemeinem Interesse berichten muß, sondern daß er auch eingreifen, ändern, korrigieren, fördern und bremsen kann, also Macht und Einfluß hat. Diese innere Überzeugung wird von einem allgemeinen Volksglauben bestätigt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß es in diesem Beruf viele eitle Gesellen, windige Burschen und selbstgerechte Paschas gibt." Recht hat er. Ich hoffe nur, daß ich nicht so bin oder so werde.
Nun, Journalismus ist kein Beruf, den man einfach lernen kann. Viele begehren ihn. Das Traumziel erreichen ganz wenige. Wenn ich mir die idealistischen Vorstellungen von Außenstehenden und Newcomern über diesen meinen Beruf anhöre, dann läuft es mir kalt über den Rücken.
Journalismus ist in der breiten Öffentlichkeit kein angesehener Beruf. Er steht an vorletzter Stelle und streitet mit den Politikern um den letzten Rang. So stellte es kürzlich ein gescheiter Professor der Universität München dar. Und doch werden diejenigen nicht weniger, die mit Schreibmaschine und Fotoapparat ein gehäuftes Maß an Sozialprestige, den Hauch des Interessanten und — auch — viel Geld bekommen möchten.
Der Publizist Werner Friedmann hat im Zusammenhang mit Journalismus mal von der „Flamme der Leidenschaft" gesprochen. Daß daraus mittlerweile eine Sparflamme wurde, würde ihn sicherlich erschrecken. In einem mutigen Referat hat der Fernsehmann Franz Schönhuber am 1. Februar 1981 viele betrübliche Wahrheiten formuliert: „Ich sehe in meiner Arbeit sensible und begabte junge Menschen, die ein Journalismus, der einerseits Anpassung und andererseits rücksichtslosen Ellenbogengebrauch erfordert, hilflos und kaputt macht. Sie werden zu Aussteigern. Leider stehen ihnen Aufsteiger gegenüber, die mangelnde Qualität durch andere Fähigkeiten kompensieren und sich in einem solchen System munter wie ein Fisch im Wasser bewegen." Und weiter: „Ich kenne nicht wenige junge Journalisten, deren fleißigste Recherchenleistung das Abklopfen aller nur denkbaren Möglichkeiten ist, ein Maximum von Vergünstigungen aus den Verträgen herauszuholen, um sich ja nicht zu überanstrengen."
Bei ihm, im öffentlich-rechtlichen Sektor, ist das ja noch einfacher als in der freien Wirtschaft. Wer lange genug auf der Anwesenheitsliste steht, hat seine Planstelle in der Tasche. Der Arbeitsrichter und der Redaktionsleiter bestimmen gemeinsam die Zusammensetzung der Redaktion. Nochmal Schönhuber: „Der Weg ins journalistische Berufsbeamtentum wird geteert mit arbeitsrechtlicher Aufweichung von Konkurrenzstreben und Leistungswillen." Da paßt abschließend bloß noch ein Satz von Peter von Zahn: „Es gibt keine publizistische oder künstlerische Organisation in Deutschland, in der die schöpferisch Tätigen derart in der Minderheit sind, wie das Deutsche Fernsehen."
Das ist die eine Seite der Medaille. Außer der finanziellen Korruption gibt es auch noch eine andere. Abhängigkeiten und Speziwirtschaft mit Politikern, Industriellen und sonstigen Interessengruppen. Nicht wenige journalistische Karrieren hängen vom Parteibuch ab. Das ist bei den Führungspositionen in großen Verlagshäusern so und ausgesprochen schlimm in den Funkanstalten. Wer besonderes Wohlverhalten zeigt, darf auch mal zur Partei seines Herzens oder in eine Beamtenstelle überwechseln, von der mittleren bis zur Regierungsebene. Die Belohnung ist vielfältig.
In den Jahren der Nachkriegszeit sind gewaltige Medienkonzerne herangewachsen. Jeder für sich eine Macht im Staate. Der Schritt zum Mißbrauch war dabei nie sehr weit. Ein Journalismus der Repräsentanten ließ die Kontraste schrumpfen. Klar, daß die Randgruppen sich schon frühzeitig von der etablierten Presselandschaft verabschiedeten. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich keine neue Tageszeitung durchsetzen können. Die vorhandenen sind dagegen in der Quantität geschrumpft. Die Zahl der selbständig tätigen Vollredaktionen sank von einst 600 auf nunmehr 120. Viele Städte und Landkreise haben nur noch eine Zeitung. Das große Zeitungssterben geht weiter. Reiche Medienunternehmer kaufen auf.
Aus den Hörfunkprogrammen wurden immer mehr Musikwellen. Die Unterhaltungsindustrie gewinnt die Oberhand. Ganz zu schweigen vom immer seichteren Fernsehen. Die Trivialität hat Methode. Während die Tageszeitung zurückging, nahm die Unterhaltungspresse in der Vergangenheit immer rascher zu. Der Publizist Harry Pross hat 1979 herausgefunden: „Die Bundesrepublik produziert gegenwärtig einige Millionen Exemplare Unterhaltungszeitschriften mehr, als das Volk Seelen hat. Die reinen Werbezeitschriften und Produkte der Öffentlichkeitsarbeit nicht mitgerechnet." Die Bilder sind längst wichtiger als der Text. Alles entsteht für raschen Konsum und für den Augenblick.
In immer flotterem Tempo wird viel und hastig produziert. Meine Kollegen und ich recherchieren zu rasch und denken zuwenig nach. Viele tun es aus Bequemlichkeit und sind mit sich zufrieden, andere weil sie ganz einfach nicht mehr Zeit haben. Das Gewerbe wächst, und die Qualität sinkt an vielen Ecken und Enden. Verleger erklären, daß ihnen der Inhalt ihrer Produkte egal sei, solange die Auflage stimme. Einzelne Kaiserin-Geburtstag-Blätter werden mehr als zwei Millionen mal verkauft — pro Woche. Das Geschäft mit dem vordergründigen Gefühl blüht. Hauptsache, es ist alles leicht und unmißverständlich geschrieben, eben gut lesbar. Und Illusionen dürfen nicht zerstört werden. Das eine wird mit Sex verkauft, das andere mit sonstigen übersteigerten Sensationen. Irgendeine Lust wird stets befriedigt.
Überlegungen, die auch bei den 3. Hohenheimer Medientagen Ende 1980 nicht fehlten. „Ethik und Kommunikation — vom Ethos des Journalismus" hieß das Thema. Es stellte sich bei den Diskussionen heraus, daß selbstkritische Betrachtungen von Journalisten zumeist nur noch hinter verschlossenen Türen stattfinden und damit folgenlos bleiben. Es wurde — die Ausnahme — von den Kollegen allgemein beklagt, daß Aktualität, Technik oder politische Rücksichtnahme allzuoft der Qualität eines Beitrags vorgezogen werden. Geld und Macht seien zu häufig dominierend.
Der Schriftsteller Peter Rühmkorf reichte während eines Kongresses des PEN-Zentrums in Bremen eine Unterschriftenliste herum. Sie richtete sich gegen die vordergründige Sensations- und Stimmungsmache der BILD-Zeitung. 52 namhafte Schriftsteller und Filmemacher unterschrieben einen Aufruf. Auszug: „Wir schreiben nicht für Springer, weil er die Leser betrügt, wenn er behauptet, überparteilich und unabhängig zu sein. Wir schreiben nicht für Springer, weil der in seinen Blättern praktizierte Journalismus den Grundsätzen der Demokratie Hohn spricht. Wir schreiben nicht für Springer, weil in seinen Zeitungen immer wieder Kollegen von uns diskriminiert und verleumdet werden." Diese Gegenwehr stellt eine Ausnahme in der heutigen Presselandschaft dar.
Die absolute Mehrheit der Journalisten muß heute schreiben, was sich gerade verkaufen läßt. In 25 Millionen Zeitungsexemplaren und 75 Millionen Publikumszeitschriften. Eine Fülle von Information, wie in keinem vergleichbaren Land der Welt. Dazu kommen demnächst Kabelfernsehen, Bildschirmtext, Privatfunk, Videotext und Satellitenübertragung. Sicherlich kein Weg, der dem individuellen Journalisten entgegenkommt. Ich glaube, ein neuer Dreh zu größerer Gleichschaltung und Unpersönlichkeit. Es ist fraglich, ob die derzeitige Entwicklung auf lange Sicht dazu dient, die gesellschaftliche Wirklichkeit objektiv darzustellen. Die verschwundene redaktionelle Nest- wärme, die uns und unserer Arbeit gut getan hat, wird durch die von Kapitalinteressen bestimmten und mit hoher Technisierung vorangetriebenen neuen Medienvarianten sicherlich nicht zurückgebracht.
Der Vorsitzende des Bayerischen Journalistenverbandes, Erich Geiersberger, hat bei einem „analytischen Medientag" in Augsburg zum Thema „Informationsfreiheit — Informationspflicht" Stellung genommen. Als die Schlagwörter Pression, Manipulation, Korruption gefallen waren, gab er zu: „Wir sind alle schon einmal feig gewesen." Ich war es auch und hoffe, daß es in meinem kleinen Rahmen unter die läßlichen Sünden fällt. Die Gewißheit, an journalistische Ethik und Seriosität zu glauben, läßt mich nach wie vor mit Freude Journalist sein.
Wilhelm Dietl
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