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Medienverfahren Der Spiegel

Der sogenannte „Schäfer-Bericht" vernebelte die Sinne der Schreib-Kräfte in den deutschen Redaktionsstuben und so kam es, dass sogar der „Spiegel" in seiner umfangreichen Titelgeschichte vom 22. Mai 2005 („Die Schnüffler vom Dienst/ Wie der BND Journalisten bespitzelt und benutzt") wider besseres Wissen tätig wurde.
Dabei hatte alles relativ objektiv und vernünftig begonnen. In der Ausgabe vom 21. November 2005 berichtete das einzige deutsche Nachrichtenmagazin über mich und andere. Die Geschichte hieß „Kopfgeld für 'Kempinski´" und basierte auf Informationen, die pünktlich zur Hauptverhandlung im Kündigungsverfahren gegen FOCUS (23. November 2005) bei einigen Leitmedien gestreut worden waren.
Kurz zusammengefasst: Im „Spiegel" stand, der BND habe mich seit 1982 als „ganz normale Quelle" betrachtet, pflegeleicht und gut in Nah- wie Mittelost eingebunden. Von „Spiegel"-Redakteur Holger Stark telefonisch befragt, hatte ich dazu sehr zurückhaltend geantwortet. Ich bezeichnete meine Beziehung zum Auslandsnachrichtendienst als gewöhnliches Geben und Nehmen, erwähnte „Gespräche auf gegenseitiger Basis". Auf einen Aspekt hatte ich aber bereits Ende 2005 großen Wert gelegt: Ich sei zu keiner Zeit losgezogen, um speziell den „Spiegel" oder auch andere Medien auszuforschen.
Sehr aufschlussreich in der Wertung und nicht ohne Wahrheiten der nächste Absatz:
„Als ordinärer Spitzel eines Geheimdienstes verstand sich der Journalist jedenfalls nie. Er sah sich wohl als Händler zwischen den Welten und beim BND wurde er weniger als Publizist denn als externer Kollege gesehen – in mehrerlei Hinsicht eine Fehleinschätzung, wie die Behörde heute weiß. Den Erfahrungsaustausch, egal ob nun von Kollege zu Kollege oder zwischen Journalist und Geheimdienstler, nutzte Dietl zu einem Werk, das den BND mächtig in Verlegenheit brachte. Er arbeitete in einem Buch die Hintergründe der dramatischen Entführung der beiden Deutschen Rudolf Cordes und Alfred Schmidt 1987 in Beirut minutiös auf. Das Recherchewerk trägt den stolzen Untertitel 'Hinter den Kulissen der Geheimdienste´ und weist eine Fülle von internen Vermerken des Bundesnachrichtendienstes auf. Eine Untersuchung in Pullach legte den Verdacht nahe, die Dokumente seien Dietl ausgerechnet von jenen BND-Beamten überlasen worden, die den Journalisten hätten abschöpfen sollen. Der BND fühlt sich im Fall Dietl deshalb mindestens ebenso als Opfer wie als Täter."
Der vom Deutschen Bundestag in Auftrag gegebene „Schäfer-Bericht" entstand zeitlich zwischen diesem und dem nächsten einschlägigen „Spiegel"-Artikel, der am 15. Mai 2006 erschien. Autor Holger Stark zitierte mich erneut mit den „Gesprächen auf gegenseitiger Basis". Und damit, ich hätte „zu keinem Zeitpunkt den Auftrag gehabt, den Spiegel auszuforschen". Nicht weiter identifizierte „Geheimdienstkreise" werden angeführt. Man habe mich „nie als Journalisten betrachtet, sondern eher als Nachrichtenhändler", „der vor allem aus dem Nahen Osten lieferte". Der Rest des Artikels befasste sich vorwiegend mit der BND-Quelle „Kempinski" alias Thomas Tumovec. Der ehemalige Stasi-Offizier hatte die „Spiegel"-Redaktion für den BND unter die Lupe genommen.
Dann kam die große Titelgeschichte, und der bislang eher kühle „Spiegel" flippte aus. Das mag damit zu tun haben, dass er durch die Plutonium-Enthüllungen selbst betroffen war. Zur Erinnerung: 1994 hatten zwei V-Leute des BND eine später sehr umstrittene Plutonium-Schmuggelaktion angeschoben. Vom BND beauftragt, lieferten Kriminelle 363,4 Gramm des gefährlichen Materials mit einer Lufthansa-Maschine von Moskau nach München. Im April 1995 erschien eine „Spiegel"-Titelgeschichte („Der Bombenschwindel des BND"), die mit Hilfe geheimer Akten die „Operation Hades" erzählte und damit den BND weltweit bloßstellte. Es folgten Ermittlungen, Untersuchungsausschüsse, Disziplinarverfahren. Der neue Sicherheitschef des BND, Volker Foertsch, setzte sich das Ziel, die undichte Stelle beim Dienst zu stopfen. Er bot ihm bekannten Journalisten 5000 Mark Kopfgeld für sachdienliche Hinweise. Bei einem unserer Mittagessen im Münchner „Seehaus" offerierte er auch mir diese unprofessionell geringe Summe. Ich unternahm nichts, um sie zu verdienen.
Die Doppelseite 28/29 der „Spiegel"-Titelgeschichte vom 22. Mai 2006 befasste sich überwiegend mit mir. Dabei ging es um folgende Fakten und Behauptungen, die weitgehend aus dem „Schäfer-Bericht" stammten:
  1. Seit August 1982 sei ich als V-Mann 068533 für den BND tätig. Ich würde über ein gewaltiges Archiv verfügen, sei aber selten zu Hause. Man begegne mir eher in Istanbul, Zypern, Kuweit, Beirut, Damaskus, Israel.
  2. Mein Deckname sei „Dali". „'Dali´ habe keine Aufträge gebraucht, heißt es im Dienst: „Normalerweise wusste er, was den BND interessiert." In einem aktuellen Interview hätte ich mich auf ein von mir aufgebautes Agentennetz im Nahen Osten bezogen, auf die Unterwanderung von Abu Nidals Terror-Organisation und von Hisbollah.
  3. Nun kam es ganz dick: „1993 beschließt die Nahost-Abteilung ihn abzuschalten. Aber man findet für den verdienten Mitarbeiter eine andere Verwendung. Er wird zum Spezialisten für die Medienbranche. Genau der Richtige für die neue Strategie, die Quellen des 'Spiegel´ und all der anderen Redaktionen zu jagen. Dietl ist laut Schäfer-Report von nun an einer der Männer, die detailreich aus dem Innenleben des Magazins berichten. Er kennt, so soll er zumindest angedeutet haben, Klatsch und Tratsch. In Wahrheit sind die BND-Treffberichte allerdings nur kümmerliche Zeugnisse von Verdacht und Irrtum. Wenn die Qualität von V-Mann-Berichten im Durchschnitt so sind wie die Berichte von 'Schweiger´ an den BND, dann ist es um die Wahrung der äußeren Sicherheit nicht gut bestellt."
  4. Es folgten äußerst fantasievolle Erzählungen von Treffen zwischen einem BND-Agentenführer und mir und einem hochgeheimen Dossier über die Plutonium-Affäre, das am Ende niemand gesehen hat. Mehr oder weniger intensive Recherchen auf den Spuren der Plutonium-Nachrichtenhändler wurden mir unterstellt. Ich sei für den Dienst so wertvoll geworden, dass ich im Dezember 1996 „unter Abwehrgesichtspunkten" neu positioniert worden sei. Geschickt mischte der „Spiegel" Fakten und Märchen, die er nicht zuletzt dem „Schäfer-Bericht" entnahm. Zu den Fakten zählte die zunehmende Besessenheit des Sicherheitschefs Foertsch bei der Aufklärung von Medien.
  5. Äußerst gewagt ist die Vermutung, ich hätte mich in jener Zeit im Auftrag des BND beim „Spiegel" angedient. Aus dem Vertrag sei aber nichts geworden, weil die Redakteure Hans Leyendecker und Georg Mascolo Verdacht geschöpft und „Indizien für eine allzu große Nähe Dietls zum BND" gecheckt hätten. Die Wahrheit war einfach: Leyendecker hatte von einem hochrangigen BND-Informanten meine Vergangenheit als „Nachrichtendienstliche Verbindung" gesteckt bekommen. Der erste – auch namentlich bekannte - Verräter aus dem Pullacher Apparat, und nicht der Letzte. Er konnte nur über die alten Tage gesprochen haben, weil es keine operative Gegenwart mehr gab. So konnte ich dem „Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust Ende 1996 ruhigen Gewissens eine eidesstattliche Erklärung anbieten, dass ich „nichts mit dem BND zu tun" hatte. Nichts mehr zu tun hatte....
  6. Gegen Ende der „Spiegel"-Geschichte kam auch Volker Foertsch indirekt zu Wort. Zitat: „Auch will er Dietl nicht aufgefordert haben, sich beim Spiegel zu bewerben oder das Magazin auszuspähen. Dietl habe sich von selbst angeboten." Natürlich habe ich mich dem „Spiegel" selbst angeboten, aber keineswegs in Absprache oder gar im Auftrag des BND. Die seltenen Foertsch-Statements sind Racheaktionen, weil Juretzko und ich den gegen ihn zum Ende seiner Amtszeit bestehenden Spionage-Verdacht für das KGB in zwei Büchern thematisiert haben. Das hat den Pensionär extrem verbittert.
  7. „652 738,91 Mark zahlt ihm der BND bis zum September 1998, als Dietl endgültig abgeschaltet wird." Soweit der „Spiegel" mit einer wahren Zahl, die falsch dargestellt wird, um mir zu schaden.
Nun begann das alte, kostspielige Juristenspiel. Der „Spiegel" lehnte es strikt ab, seine falschen Behauptungen zu korrigieren, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen oder gar für den entstandenen Schaden aufzukommen. Am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als zu klagen. Unter dem Datum 10. September 2006 ging der Schriftsatz an das Landgericht Regensburg.
Der endgültige Termin der Hauptverhandlung wurde auf den 2. März 2007 festgesetzt.
Außer Formalien und juristisch-bürokratischem Geplänkel passierte dabei nicht viel. Die 6. Zivilkammer trat nur pro forma in die Beweisaufnahme ein, damit am Ende der Schein gewahrt war. So wurde wieder eine Chance versäumt, die Details einer organisierten Rufmord-Kampagne gerichtlich aufzuarbeiten.
Das Urteil vom 29. März 2007 bot somit keine Überraschung. Meine Klage wurde abgewiesen. Nach dem Grundsatz der Presse- und Informationsfreiheit habe der „Spiegel" in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt. Die Öffentlichkeit habe ein besonderes Interesse an der Aufklärung der Vorwürfe, dass der BND Journalisten ausspioniert habe. Was für ein Kontrast: Das Landgericht bescheinigt der anonymen Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse. Selbst kann es sich kaum desinteressierter geben.
Wieder beschritten wir den steinigen Weg zum Oberlandesgericht Nürnberg. Unter dem Datum des 17. September 2007 reichte die von mir beauftragte Münchner Fachkanzlei Romatka & Collegen einen 33seitigen Berufungsschriftsatz ein. Die strittigen Punkte wiederholten sich, wurden aber für das OLG noch einmal mit allem garniert, was in irgendeiner Form zu meinen Gunsten vorzubringen war. Anschaulicher ließ sich die höchste Instanz nicht mehr über die Hintergründe des Medienverfahrens informieren.
Und doch ging es erneut schief. Schon im Vorfeld kündigte der zuständige OLG-Senat an, dass er unsere Berufung zurückweisen würde, „weil das Rechtsmittel keinen Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern". Er räumte uns großzügig die Gelegenheit ein, die Berufung selbst zurückzunehmen.
Der Senat klammerte sich an den „Schäfer-Bericht", ging sogar soweit, einen von ihm gesehenen Zusammenhang „objektiv als Verdachtsberichterstattung zu qualifizieren". Eine Verdachtsberichterstattung lag aber nicht vor, weil der „Spiegel" keinen Verdacht äußerte, sondern seine ehrabschneidenden Thesen als Tatsachenbehauptung vortrug. Da hieß es beispielsweise, ich sei zum „Spezialisten für die Medienbranche" geworden. In einer Analyse stellte mein Anwalt, Professor Dr. Gero Himmelsbach, fest: „Die vom Senat dann angesprochene Frage, ob dem Schäfer-Bericht inhaltlich zu vertrauen ist, hat mit der Prüfung, ob eine Verdachtsberichterstattung vorliegt, nichts zu tun. Hier geht es um die Frage, ob der Schäfer-Bericht eine privilegierte Quelle ist, ob also Behauptungen, die dem Schäfer-Bericht entnommen werden und als Behauptungen aus dem Schäfer-Bericht dargestellt werden, in die Öffentlichkeit gebracht werden dürfen, Handelt es sich um eine privilegierte Quelle, ist dies zulässig und die journalistische Sorgfaltspflicht ist alleine durch die Übernahme von Inhalten unter Verweis auf den Bericht zulässig. Es muss also nicht weiter recherchiert werden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Berichterstattung unzulässig." Die „Spiegel"-Formulierungen, dass ich zum „Spezialisten für die Medienbranche" geworden bin und „genau der Richtige", um „Quellen des Spiegel zu jagen", finden sich im „Schäfer-Bericht" nicht.
Ähnlich die Behauptung, ich hätte Volker Foertsch angeboten, den Versuch zu unternehmen, in der Redaktion des „Spiegel" unterzukommen. Ohne geltendes Recht zu verbiegen, müsste der „Spiegel" die Richtigkeit dieser Behauptung beweisen. Schließlich ist es ehrenrührig, mir ein solches Verhalten zu unterstellen. Möglicherweise war die Aufforderung zur Bewerbung gar nicht möglich, weil ich bereits vor der Foertsch-Ära eine entsprechende Vereinbarung mit dem „Spiegel" getroffen hatte. Gerade auch das wäre keine Verdachtsberichterstattung, und die Gegenseite müsste die Behauptung beweisen.
Am 28. Januar 2008 wies der Senat des OLG Nürnberg unsere Berufung endgültig zurück. Ein Kernsatz der Entscheidung: „Der Senat bleibt auch bei seiner Ansicht, dass der Schäferbericht jedenfalls im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung von der Presse als privilegierte Quelle benutzt werden darf und sich diese ohne weitere Recherchen auf den Inhalt des Berichts stützen darf." Eine absurde Situation. Das OLG Nürnberg gesteht dem „Spiegel" einen privilegierten „Schäfer-Bericht" zu, obwohl das Nachrichtenmagazin selbst den Inhalt des Reports in Frage stellte und sich seiner bediente, als er noch gar nicht freigegeben war.
Das nahmen wir als Grundlage, am 29. Februar 2008 eine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Nürnberg einzureichen. Professor Dr. Gero Himmelsbach konzentrierte sich dabei auf das Thema „zuverlässige Quelle". Aus unserer Sicht kann es nicht sein, dass der „Spiegel" einerseits die Inhalte des „Schäfer-Berichts" als unzutreffend einstuft, andererseits sich aber hieraus eine privilegierte Berichterstattung bei den mich betreffenden Zusammenhängen ergeben soll.
Die Verfassungsbeschwerde wurde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 1 BvR 509/08 registriert.
Im August 2009 erkundigten sich meine Anwälte bei der Geschäftsstelle des Bundesverfassungsgerichts nach dem möglichen Termin einer Entscheidung. Der zuständige Sachbearbeiter teilte mit, dass sich das Verfahren noch „in der Anfangsphase" befinde. Im Jahr 2009 werde es wohl nicht abgeschlossen.
Nach überlanger Wartezeit meldete sich das Bundesverfassungsgericht am 16. März 2011 mit einem einzigen Satz zu Wort: „Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen." Von einer Begründung wurde abgesehen. Gezeichnet Kirchhof/Eichberger/Masing. Ein Vorgang, der sich in seiner Peinlichkeit nicht mehr toppen ließ.
Nun bliebe nur noch ein Verfahren vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Niemand kann garantieren, dass dort Juristen sitzen, die das Problem wenigstens in seinen Ansätzen kapieren.
Siehe auch den vollständigen Text der Verfassungsbeschwerde bei den Anlagen.
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