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Alptraum FOCUS: 1993 bis 2004

Mein Einsatz bei und für FOCUS begann mit einem Irrtum und endete mit einer kriminellen Fälschung. Der Irrtum findet sich auf der ersten Seite des Arbeitsvertrages, der unter meiner Adresse an einen gewissen Helmut Dietl gerichtet war. Es war bezeichnend für die vermeintliche Exaktheit der Tagesarbeit, wie ich sie bei FOCUS immer wieder erleben sollte. Irren ist menschlich. Und gerade bei FOCUS menschelte es auf Schritt und Tritt.
Wie kam es zu FOCUS? Helmut Markwort, vor 15 Jahren noch mehr Journalist als Geschäftsmann, wechselte vom Nürnberger Sebaldus-Verlag zum Weltkonzern Burda. Für die Franken hatte er Zeitschriften simplen Zuschnitts geformt: „Gong", „Ein Herz für Tiere", „die aktuelle", „die 2". Diese berufsspezifische Ausrichtung konnte er dann nie mehr verleugnen. „King Gong", lautete einer seiner Branchen-Spitznamen, „Medien-Genscher" der andere. Es war wohl der Coup seines gesamten professionellen Lebens, dass er dem Verleger-Freund Hubert Burda die Idee zu einem Nachrichtenmagazin schmackhaft machte und ihn zu Investitionen in Höhe von 150 Millionen Mark verleitete.
Markwort skizzierte sein Projekt: Kurz schreiben, viele bunte Fotos, attraktiv für junge Leser, die mit langen und analytischen „Spiegel"-Texten überfordert sind. Ein Produkt der Fun Generation und pure Konkurrenz für die Glotze. Man beschloss eine sogenannte Entwicklungsredaktion und nannte sie der Tarnung halber „Zugmieze". Das muss man sich so vorstellen: Eine erste, kleine Redaktion produzierte ein halbes Jahr lang Nullnummern für die Schublade, for His eyes only bei Hubert Burda – und einfach zu Übungszwecken. Dann standen sie alle in den Startlöchern. Wenn FOCUS 2000 Seiten im Jahr und eine verkaufte Auflage von 240 000 wöchentlichen Exemplaren halten konnte, so lautete die hausintern verbreitete Parole, dann ist der Erfolg gesichert und das neue Flaggschiff des Verlages überlebensfähig.
Es klappte auf Anhieb und Helmut Markwort klopfte öffentlich Sprüche, die ganz schnell zu Kalauern wurden: „In Deutschland ist Platz für ein zweites Nachrichtenmagazin!" (Eigentlich hatte er gesagt: „In Deutschland ist Platz für vier Nachrichtenmagazine. Wir machen das zweite." Dann ging ihm der Ruf nach zwei weiteren Konkurrenten wohl doch zu weit). Oder auch: „Fakten Fakten Fakten!" Der Slogan von der „Info-Elite" wurde geschaffen. Ein Hohn angesichts der Tatsache, dass die Redaktion ihrer Kundschaft nur eingeschränkte Aufmerksamkeit zutraute. Ganz ehrlich: Der „Spiegel" hatte niemals einen Grund, FOCUS zu fürchten. Trotzdem passte er sich rasch dem neuen Trend an. Seine Auflage blieb stabil. FOCUS fing Leser der 1992 verblichenen QUICK auf und bescherte dem „Stern" Auflagenschwund. Bei FOCUS und „Spiegel" soll es lediglich vier Prozent Doppelleser gegeben haben.
Das erste FOCUS-Heft stand am 18. Januar 1993 an den Kiosken. Ich gehörte bereits der Redaktion an und hatte für die ersten beiden Ausgaben an tragenden Geschichten mitgeschrieben. Zum einen handelte es sich um einen Hintergrundbericht mit vielen Dokumenten zum Anschlag des iranischen Geheimdienstes auf eine Kurden-Delegation im Berliner Restaurant „Mykonos", zum anderen um den Auslands-Aufmacher über die verschwiegenen Wege der iranischen Rüstungsbeschaffung. Mit dem Iran kannte ich mich damals bestens aus. Das gehörte zu meinen Standard-Themen. Ich sollte mich im Laufe der FOCUS-Jahre immer wieder damit beschäftigen. Die Titelgeschichte forderte, Genscher zum Bundespräsidenten zu küren. Da ging es FOCUS nur um den Effekt, und darum, sich vom Rest der Branche zu unterscheiden. An die weltfremde Aussage glaubte keiner.
FOCUS stieg mit ganzseitigen Werbeanzeigen ein: „Bitte nur die Fakten. Meinungen habe ich selber." Gerade daran hielt sich das Blatt in den nächsten anderthalb Jahrzehnten am wenigsten. FOCUS-Meinung war in Stein gehauen, vor allem auf den „Tagebuch"-Seiten des Chefs zu finden. Abweichende Meinungen und Weltbilder mochte er nur ausnahmsweise gelten lassen. Das machte die Zusammenarbeit mit ihm und den „kleinen Markworts", die ihn umgaben, so schwierig.
Bleiben wir erst einmal bei den Fakten, die mich selbst betreffen: Warum war ich so lange bei FOCUS, was habe ich dort getan? Ich gehörte zur Redaktion „Deutschland aktuell", die dem einstigen Markwort-Stellvertreter und heutigen Chefredakteur Uli Baur unterstand. Vom ersten bis zum letzten Tag war ich freier Mitarbeiter, ohne eigenes Büro oder Schreibtisch, aber mit den Insignien eines „Reporters". Das heißt, ich führte mehr oder weniger selbständig Recherchen durch, schrieb meine eigenen Artikel, ziemlich häufig im Tandem mit dem Kollegen Josef Hufelschulte. Der umtriebige Westfale kam von der „Bunten" und – ebenfalls – von der QUICK. Dort hatten wir uns auch kennen gelernt. Er hatte bereits während der „Zugmieze"-Phase angedockt, also ein halbes Jahr vor mir.
Mit dem FOCUS-Dasein entdeckte Hufelschulte seine Lust auf Sicherheitsthemen. Von 1993 bis etwa 2004 waren wir ein eingespieltes Team, das sich um Geheimdienste und Polizeibehörden, um Terroristen und Waffenschieber, um Spione und ihre Jäger kümmerte. Daraus entstanden viele gemeinsame Artikel, aber auch so manche größere „Geschichte", die er mit Hilfe meiner Unterlagen und Informationen zu Papier brachte. Die Arbeitsteilung ging so weit, dass Hufelschulte sich stärker um das Bundesamt für Verfassungsschutz kümmerte, ich dagegen um das Bundeskriminalamt. Ich verfügte lange Zeit über bessere Quellen im Bundesnachrichtendienst oder beim Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern, er dagegen im heimischen Nordrhein-Westfalen oder im neuen Berlin.
Ich beschaffte in meinem Bereich viele Original-Unterlagen, und er kam von seinen Touren mit spannenden Papieren und Informationen zurück, die ihm Freunde und Gönner überlassen hatten. Hufelschulte traf all diese Jahre regelmäßig mit einem Informanten zusammen, den er „Handlungsreisender" nannte. Er beschrieb ihn als Jugendfreund aus seinem westfälischen Umfeld und siedelte ihn gesprächsweise beim Verfassungsschutz in Köln an. Dass all diese Hinweise eher auf das Bundeskanzleramt hindeuteten, das sollte sich erst später zeigen. Der „Handlungsreisende" bediente Hufelschulte erstklassig, und das ließ den Ruhm des Kollegen als investigativer Reporter immer mehr anschwellen. Jeder von uns hatte exklusive Zugänge. Wir schützten sie mit allen Mitteln und ließen den Partner nur begrenzt Einblick nehmen. Das war gut so und hätte noch ewig weitergehen können. Wenn nicht..... Aber davon später.
Über die Jahre hinweg gab es immer wieder unprofessionelle Zwischenfälle und bizarre wie fundamentale Meinungsverschiedenheiten, die meine persönliche Blattbindung nachhaltig verhinderten.
Beispiel 1995/96: FOCUS ist jede Woche stolz auf eines seiner Markenzeichen, die Reportage. Auf sechs, sieben oder gar acht Seiten wird ein Thema präsentiert, das häufig gar nicht ins Heftschema passt. Die Reportage beweist, dass es noch mehr gibt, als diesen hastigen Häppchenjournalismus, dessen Produkte enden, bevor sie richtig begonnen haben. Die Reportage verwaltete in den ersten Jahren ein Redakteur der alten Schule, ein Vollprofi: Peter O. Ebel. Wir verstanden uns auf Anhieb, und deshalb kam ich mehrfach in den Vorzug, eine FOCUS-Reportage recherchieren und schreiben zu dürfen. 1995 ging es um ein Thema, an dem mein Herzblut hing. Ich wollte meine Heimatstadt Kötzting porträtieren. Der Artikel sollte einen kleinen Ort am südöstlichen Rand der Bundesrepublik zeigen, der von zwei Familien und einer Volkspartei beherrscht wird. Er sollte aus intimstem Blickwinkel verdeutlichen, wer mit wem verbandelt ist, wie Politik und Wirtschaft ticken.
Der Fotograf Rolf Hayo und ich lebten drei Wochen lang in Kötzting. Wir trafen viele meiner alten Freunde, die meisten Entscheidungsträger und Kenner der 7000-Seelen-Gemeinde. Kötzting wurde bei allen wichtigen Gelegenheiten, aus allen Perspektiven fotografiert. Schließlich entstand eine kritische Bestandsaufnahme. Peter Ebel und ich nahmen diese Reportage nicht auf die leichte Schulter. Monatelang besserten wir gemeinsam nach, änderten Absätze, feilten an Nebensätzen, brüteteten über dem Einstieg. Schließlich lag uns eine Fassung vor, die Ebels hohen Ansprüchen genügte. Wir wählten ein ganz besonderes Stilelement. Der Artikel sollte die Stadt Kötzting einem fiktiven Freund John irgendwo in den USA näherbringen. Da erschien uns die Briefform besonders geeignet zu sein. „Lieber John, ich schreibe Dir heute unter dem Eindruck einiger sonniger Wintertage aus der Oberpfalz....."
Auf den folgenden Seiten ging es um die Amigos der mächtigen Regierungspartei, um erfolgreiche Kötztinger Firmendynastien und um skrupellose Krankenhausspekulanten, neuen Aufschwung und uraltes Brauchtum, Lizenzen zum Glücksspiel und zum Kneipp-Kurort. Mit einem Wort: Bayern at it´s best. In das Layout der sechs Reportageseiten wurden 22 Fotos eingebettet. Die Überschrift lautete unschlagbar: „Beispiel Kötzting".
Diese Reportage sollte Ende Januar 1996 erscheinen. Dafür überstand sie sämtliche Arbeitsvorgänge und prangte am „Schlusstag" im Heft. An diesem Freitag war Helmut Markwort innerhalb der Chefredaktion zum „Straflesen" eingeteilt. Das heißt, er musste die Texte der bevorstehenden Ausgabe gegenlesen. Als er zur Reportage kam, stockte ihm der Atem. Das Kötzting-Stück verstieß gegen alle Werte und Grundlagen, nach denen Markwort lebt. Nur über seine Leiche, so ließ er mir ausrichten, werde dieser von Neid und Häme bestimmte Text erscheinen. Die Reportage sei destruktiv und negativ. So etwas könne er nicht erlauben. Gesagt, getan. Der arme Ebel musste ganz flink eine Ersatzreportage trimmen und ins Heft heben. Ein mühsames Geschäft.
Peter Ebel kontaktierte mich in Tel Aviv, wo ich mich gerade im Auftrag von FOCUS aufhielt. Er sandte mir ein Fax: „Nun ist es amtlich., Auch Herr Markwort hat die Kötzting-Geschichte gelesen, sie kommt definitiv nicht. Sorry, vielen Dank für Ihre Bemühungen." Uli Baur bemühte sich nach meiner Rückkehr um Schadensbegrenzung. Er bot mir – zusätzlich zum Ausfallhonorar – ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000 Mark an. Ich wies die Summe ab. Diese Schmach konnte man mir nicht so einfach bezahlen.
Beispiel 2000: Der von mir ob seines journalistischen Könnens bewunderte Erich Follath schrieb einen provokativen Roman: „Wer erschoss Jesus Christus?" Das ungewöhnliche Buch war ein Krimi und spielte am Rande der Oberammergauer Passionsspiele. Bei der Premiere des Stückes wurde der Darsteller des Jesus Christus mit einem gezielten Schuss aus dem Publikum ins Jenseits befördert. Wer war zu einer solchen spektakulären Tat fähig, und vor allem warum? Die Neonazis, der Mossad, ganz persönliche Feinde? Das Buch war spannend und ließ den Leser nicht mehr los. Also bot ich dem Kulturressort des FOCUS eine Rezension an. Stefan Sattler, der Verantwortliche, ein Kosmopolit, bestellte die Besprechung. Er war damit zufrieden und plante den Artikel für die nächste Ausgabe ein. Plötzlich bekam Markwort den Artikel in die Hand und warf ihn aus dem Blatt. Die Begründung war weder mein schlechter Stil noch Follaths Unvermögen, den Stoff umzusetzen. Die Buchbesprechung durfte nur deshalb nicht erscheinen, weil Erich Follath für den „Spiegel" arbeitet. Markwort wies vor Kollegen darauf hin, dass FOCUS keine Werbung für einen „Spiegel"-Mann bringen werde. Basta. Als die „Süddeutsche Zeitung" diese kleinkarierte Haltung auf der Medienseite würdigte, war er zutiefst beleidigt.
Beispiel 2003: Vom 25. Januar bis 3. Februar hielt ich mich für die FOCUS-Auslandsredaktion in Bagdad auf und beobachtete die Aktivitäten der internationalen Friedensaktivisten und den Fatalismus von Saddam Husseins Regime wenige Wochen vor dem Einfall einer westlichen Allianz unter dem Befehl des US-Militärs. Nach meiner Rückkehr erschien ein Artikel über die friedensbewegten Westler. Eine Art Tagebuch zur Vorkriegszeit wollte FOCUS nicht haben. Zur selben Zeit befand sich ein Team der Reportage-Redaktion in Bagdad. Wir hatten im selben Hotel gewohnt und uns deshalb immer wieder gesehen. Ansonsten hatten wir uns auf getrennten Pfaden bewegt.
Am 4. Februar 2003 reiste ich nach Hause und befand mich an den beiden folgenden Tagen in der Redaktion. In diesem Zeitraum kam es zu einer denkwürdigen Besprechung. Ich wurde überraschend in der Auslandsredaktion angerufen und sollte unverzüglich zur Chefredaktion kommen. In Markworts Zimmer befanden sich der Chefredakteur, sein damaliger Stellvertreter Uli Baur und die beiden Reportage-Verantwortlichen Carin Pawlak und Bernhard Borgeest. Markwort schien aufgeregt zu sein. Er fuchtelte mit einigen beschriebenen Seiten durch die Luft.
Borgeest wirkte betreten und Pawlak aggressiv. Dann stellte mir Markwort eine einzige Frage: „Sind in Bagdad alle arm und verelendet? Oder gibt es auch so etwas wie Luxus oder Wohlstand?" Meine Antwort in Kurzform: „Den Irakern geht es ziemlich bescheiden. Die meisten haben gerade das Nötigste. Wie überall in vergleichbaren Ländern gibt es aber auch in Bagdad Leute mit sehr viel Geld. Hinter hohen Mauern leben sie ihr Luxusdasein. Wir haben eine Straße gesehen, wo es exklusive Möbelgeschäfte, Läden mit High Tech und teurer Kleidung sowie entsprechende Restaurants gab." Der Name dieser Straße fiel mir gerade nicht ein. Also nannte ich sie einfach „Bagdads Maximilianstraße".
Markwort fühlte sich in seiner ablehnenden Position (fälschlich) bestärkt. Baur ergriff das Wort und erklärte im Namen der Chefredaktion, der Text dieser Reportage sei extrem positiv für das irakische Unrechtsregime. So könne er keinesfalls in FOCUS erscheinen. Markwort nickte lebhaft. Er war dafür bekannt, dass er den Autor und seine liberale Haltung nicht leiden konnte. Wochen vorher hatte es erst einen anderen Eklat zwischen den beiden gegeben. Markwort fragte mich, ob ich innerhalb von zweieinhalb Stunden eine neue Reportage schreiben könnte. Das lehnte ich ab, auch aus Solidarität mit den Kollegen. Eine derart kurze Zeit sei absolut unrealistisch für eine sechsseitige Geschichte. Also entschieden Markwort und Baur, die aktuelle Reportage erstmals in der zehnjährigen FOCUS-Geschichte nur in Gestalt von Fotos erscheinen zu lassen.
Die Fotostrecke wurde Tage später (10. Februar 2003) unter dem plakativen Motto „Aktuelle Bilder aus Bagdad" präsentiert. In Wahrheit handelte es sich um teilweise Jahre alte Motive, die von einer verärgerten Bildredaktion in Windeseile zusammengestellt werden mussten. Die Besprechung bei Markwort endete mit heftigen Worten einer tief verärgerten Carin Pawlak, die in der Tendenz nur noch mit ihrer sofortigen Kündigung zu toppen gewesen wäre. Gegen 17 Uhr wurde ich gebeten, die Bildunterschriften gegenzulesen.
Das war die irrwitzige Stimmung bei FOCUS in den Wochen vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Amerikaner. Die FOCUS-Chefredaktion sehnte den Waffengang herbei und vermittelte stets den Eindruck, als sei sie persönlich daran beteiligt. In den ersten Wochen von 2003 war die FOCUS-Sprache besonders militant und unversöhnlich.
Helmut Markwort überschlug sich schier, als Kanzler Schröder im Januar 2003 die klügstmögliche Entscheidung traf und Deutschland aus dem heraufziehenden Krieg mit dem Irak heraushielt. Der Chefredakteur titelte in seinem „Tagebuch": „Schröders Weg – eine Sackgasse". Ein Zitat aus dem Text: „So unglücklich und so isoliert stand noch kein deutscher Bundeskanzler neben den Ereignissen.... Der Kanzler, nur auf Stimmungen fixiert, hat Europas größte Nation in eine Sackgasse manövriert." Auf dem Cover anklagend: „Schröders Fehler und die Folgen".
Am 17. Februar 2003, vier Wochen vor Kriegsbeginn, intensivierte FOCUS seine Schelte. „Des Kanzlers Trümmer" lautete der Titel von Heft 8. Und weiter: „Von Amerika fallen gelassen. Isoliert in Nato und Europa". Markwort polemisierte wieder in seinem „Tagebuch": „Deutsche, die in den USA unterwegs sind, entschuldigen sich für ihren Kanzler Schröder." Der außenpolitisch unerfahrene Markwort bezeichnete Saddam wiederholt als „Nahost-Hitler" und merkte gar nicht, dass er ihm damit – aus regionaler Sicht - die größtmögliche Ehre zuteil werden ließ. Im Inneren des Heftes ging es im selben Tonfall weiter. „Die Außenpolitik in Trümmern....Bruch der deutsch-amerikanischen Freundschaft..... Droht der deutschen Wirtschaft ein US-Boykott?"
Christian Liebig, der Wochen später, eingebettet in US-Invasionstruppen, zum journalistischen Kriegsopfer wurde, steigerte sich vier Farbseiten lang in die Schönheit amerikanischer Waffensysteme und ihre „tödliche und humane" Überlegenheit hinein. Er schwärmte von „Präzisionsschlägen", vom sauberen Krieg durch „High-Tech-Bomben", von „Smart-Bomben" – vielleicht sogar Atombomben. Schon der erste Absatz schilderte einen Krieg, wie ihn sich nicht einmal die optimistischsten US-Militärs träumen ließen: Ein Luftangriff aus dem Lehrbuch, Saddam isoliert von seinen Truppen, die Soldaten kapitulieren. Eliteeinheiten richten ihre Waffen gegen Saddam, töten ihn. US-Truppen marschieren kampflos in Bagdad ein, werden gefeiert. Verluste auf amerikanischer Seite: null. Vorsichtshalber beschrieb Liebig auch das Negativszenario. Das war aber von der FOCUS-Optik nicht abgedeckt. Denn: „Der überwiegende Teil der Militärexperten.... glaubt an die erste Variante." Und nochmals: „Die US-Soldaten werden einen relativ leichten Sieg erringen." Das sagt wer? Ein amerikanischer Verteidigungsexperte. Spaltenweise folgten wieder Jubelgesänge auf das Kriegsgerät des Pentagon. Spätestens damit hatte sich Liebig sein Ticket für den Einsatz an der „humanen" Front der Alliierten verdient.
In den folgenden Wochen setzte sich FOCUS nach Leibeskräften dafür ein, den Krieg am Golf herbeizureden. Für einen „Waffengang gegen Saddam", so die Unterzeile eines FOCUS-Titels, bleibe „nicht mehr viel Zeit". Dann schickten die Münchner Strategietheoretiker Großbritanniens Außenminister Jack Straw vor. Dieser stellte in einem Kommentar fest, dass Saddam „noch gefährlicher werden" könnte. Falls dieser Krieg aufgeschoben würde.....
In der Woche vor dem Einmarsch ins Zweistromland bescheinigte FOCUS den Amerikanern, sie würden „weit über die Entwaffnung Saddams hinaus" planen. Washingtoner „Beobachter" diktierten FOCUS die Vision einer „globalen Verbreitung der Freiheit" und zum „Umbau des gesamten Nahen Ostens". Ein Professor Bacevich interpretierte seinen Präsidenten: „Er betrachtet den Einsatz militärischer Gewalt nicht als letzte Möglichkeit, sondern als effektives Instrument der Staatskunst." Staatskunst! Und endlich bescherten die Gutmenschen von jenseits des Teiches ihren Medienfreunden in München den lang erwarteten D-Day. DieTitelmacher von Heft 13/03 atmeten durch: „Amerika verwirrt den Gegner – Saddam schon am Ende?"
Die Quintessenz mehrerer Dutzend Seiten an voreiliger Kriegsberichterstattung lässt sich mit dem von FOCUS gedruckten Zitat des US-Generals Louis Weber von der 3. Infanteriedivision zusammenfassen: „Wir werden den Irakern eins auf die Mütze geben.... Ich stell mir schon vor, wie ich in eine von Saddams goldenen Badewannen steige und Soldaten der irakischen Republikanischen Garde mir Luft zufächeln." Erneut bekamen Washington-Korrespondent Peter Gruber und Kriegsreporter Christian Liebig zwei Seiten Platz, um Amerikas „neu entwickelte Kriegswaffen" über alles zu loben. Da heißt es beispielsweise zur „Blackout-Bomb": „Bei ihrer Explosion lösen sich Grafitfasern ab, die sich wie Spinnennetze über Kraftwerke, Transformatoren und Stromleitungen legen. Die Karbonfäden lösen Kurzschlüsse aus und lassen die Energieversorgung zusammenbrechen." Was das für die Zivilbevölkerung zwischen Euphrat und Tigris während der schier unerträglichen Sommerhitze bedeutet, das fragte keiner.
Das FOCUS-Verhältnis zu Krieg und Frieden ließe sich noch lange beschreiben. Es bliebe immer gleich übel. Da drängt sich einem die Frage auf, was eigentlich ein Ehrenmann wie Jürgen Todenhöfer im Burda-Verlag zu sagen hat. An dieser Stelle und aus gutem Anlass eine Todenhöfer-Fußnote: Schon als CDU-Abgeordneter war er ein Rebell, reiste beispielsweise im August 1980 mit afghanischen Mudschahedin an die Front gegen das östliche „Reich des Bösen". Todenhöfer, ein Alt-Rechter ist über die Jahre zum altklugen Linken geworden („Nichts fördert den Terrorismus mehr als die Antiterrorkriege des Westens.").
Seit 1990 gehört er dem Vorstand des Burda-Verlages als stellvertretender Vorsitzender an. Im Olymp von Hubert Burda hat er denselben Rang wie Helmut Markwort. Todenhöfer schreibt ein Gutmenschenbuch nach dem anderen, setzt sich vehement für die Opfer in Ländern wie Irak oder Afghanistan ein. Er ist der Schutzengel von ewigen Verlierern, denen Todenhöfers Kollege Helmut Markwort nur mit Verachtung begegnet. Gerüchteweise heißt es, die beiden könnten sich nicht ausstehen, und doch läßt sich Todenhöfer von den FOCUS-Aktivisten alles gefallen. Er reagiert weder auf Gerüchte noch auf massive Vorwürfe. Todenhöfer tut einfach so, als würde er in seiner unmittelbaren Umgebung nichts wahrnehmen. Seltsam.
Der lebende Unrechts-Seismograph („Der Westen ist viel gewalttätiger als die islamische Welt.") kennt beispielsweise seit Jahren die schweren Vorwürfe, die gegen FOCUS erhoben wurden. Die Staatsanwaltschaft München I sitzt auf einem Stapel Akten, die belegen sollen, dass FOCUS-Mitarbeiter im Auftrag der Chefredaktion mindestens einen Politiker abgehört, eingebrochen und beispielsweise Adressbücher entwendet haben. Die Akten der Staatsanwaltschaft München I sollen nachweisen, dass FOCUS-Mitarbeiter deutsche Beamte bestochen haben. Nicht nur ein- oder zweimal, sondern über viele Jahre hinweg. Von vielem habe ich Kenntnis aus erster Hand, weil es zu meiner Zeit passierte. Und weil ich es bezeugen kann.
Wenn man dies alles erlebt hat, und noch viel mehr – beispielsweise, wie bei FOCUS Reportagefotos gefälscht werden – wie wenig der populistische Markwort wirklich weiß (er fragte mich am 12. September 2001: "Die Taliban, das sind doch die alten Kommunisten?") und wie sehr er die Berichterstattung manipuliert – der irakische Gefängnisskandal von Abu Ghraib wurde zugunsten eines FOCUS-Interviews mit einem Windsor-Prinzen zurückgestellt (Markwort: „Das ist doch schon wieder eine Kampagne gegen die Amerikaner. Außerdem sind das olle Kamellen.") -, dann kann man dort nicht mehr bleiben.
Im Sommer 2003 lagen meine Nerven längst blank. Ich hatte mich immer wieder dagegen gewehrt, in den amerikanisch besetzten Irak reisen zu müssen. Das war für jeden zu gefährlich. Nach dem Tod von Christian Liebig musste ohnehin niemand gegen seinen Willen an die Front. FOCUS war auch aufgrund seiner kriegstreiberischen Nahost-Berichterstattung nicht bereit, den Gefühlen und Ansichten der Einheimischen mehr Platz einzuräumen. Iraker befanden sich auf der Werteskala weit unten, desgleichen die Palästinenser. Ich wollte den Nahen und Mittleren Osten nicht nur aus amerikanischer und israelischer Sicht interpretieren müssen. Also lebten wir uns Monat für Monat mehr auseinander. Ich besuchte die Redaktion nur noch in größeren Abständen, übermittelte meine Themenvorschläge per Telefon oder eMail. Im Juni 2003 vereinbarten wir, dass mein Vertrag von 6000 auf 2000 Euro gesenkt wurde. Die bisherige Entlohnung wurde kurzerhand zur Kostenpauschale umgetauft.
Ich wusste, dass meine FOCUS-Phase zu Ende ging. Zu weit hatte sich das Blatt von den Idealen der Anfangszeit entfernt. Es hatte längst jegliche Ähnlichkeit mit einem Nachrichtenmagazin verloren, konzentrierte sich massiv auf die Vermittlung von Lifestyle, sah aus wie ein Zentralorgan des deutschen Verbrauchers, betrieb Kampagnen. FOCUS-Redakteur Markus Krischer, eine Art Chef vom Dienst, begegnete mir immer mehr als Großmeister des Mobbings. Wo immer und wann immer konnte, schikanierte er mich. Da ließen sich viele Beispiele schildern.
Auch die kollegiale Partnerschaft zu Josef Hufelschulte war spätestens 2003 zerbrochen. Das kam so: Hufelschulte hatte mir Anfang 2003 den BND-Dissidenten Norbert Juretzko vorgestellt. Juretzko wollte seine Lebens- und Leidensgeschichte in ein Buch packen und suchte Unterstützung. Ich besorgte ihm einen Literaturagenten, dieser den Verlag. Wir beschlossen, das Werk gemeinsam zu schreiben. Das war dem Kuppler Hufelschulte zuviel der Harmonie. Bereits im Sommer 2003, Wochen vor dem Vertragsabschluß in Sachen Juretzko, forderte er von beiden Autoren seine „Provision". Der Literaturagent unterbreitete ihm ein Angebot. Hufelschulte lachte nur. Es war ihm nicht genug. Er sprach von Urlaub mit seiner Familie und einem neuen Auto.
Der gierige FOCUS-Redakteur setzte uns immer mehr unter Druck. In meinem Fall zog sich die – vorwiegend telefonische – Auseinandersetzung bis Herbst 2004 hin. Hufelschulte legte sich nie auf eine Summe fest, wollte von mir immer ein „Angebot" haben. Manchmal sprach er mich mehrmals täglich auf seinen vermeintlichen „Anteil" an. Seine Bettelei wurde immer penetranter und aufdringlicher. Er stellte kategorisch fest, ihm stehe eine größere Summe als Vermittlungsprovision zu. Ich lehnte ausnahmslos ab und wies ihn darauf hin, dass wir nie eine entsprechende Vereinbarung getroffen hätten. Und dass es bei unserer Vorgeschichte absolut ungebräuchlich sei. Das kümmerte ihn nicht. Ich fing an, ihm aus dem Weg zu gehen.
Ab Sommer 2004 wurden Hufelschultes zahlreiche Anrufe immer aggressiver und beleidigender. Es drehte sich nur noch um Geld. Alles gipfelte in eindeutigen Erpressungs- und Nötigungsversuchen. Wenn ich nicht augenblicklich „abdrücken" würde, dann müsse ich ernsthafte Konsequenzen in Kauf nehmen. Meine Handlungsweise werde mir noch leid tun. Ich würde diese Haltung bitter bereuen. Ich müsste mich auf Probleme ohne Ende einstellen.
Nach dem Erscheinen des Buches „Bedingt dienstbereit" ging ich Hufelschulte noch stärker aus dem Weg. Ich vermied bei FOCUS nach Möglichkeit die Deutschland-Redaktion und verkehrte fast nur in der Auslandsredaktion. Irgendwann endeten Hufelschultes Anrufe. Unsere Freundschaft war endgültig gestorben. Zeitgleich begann seine Schmutzkampagne gegen das Buch „Bedingt dienstbereit". Bei mehreren Gelegenheiten missbrauchte er FOCUS, um unser Buch (es hatte inzwischen den zweiten Platz der Bestsellerliste erklommen) und den Autor Juretzko in ein schiefes Licht zu stellen. Mich blendete er sofort aus. Ich wurde bei der Berichterstattung erst gar nicht erwähnt. Damit wollte er mich bestrafen, weil ich ihn nicht bezahlt hatte. Nach und nach wurde Juretzko durch FOCUS systematisch kriminalisiert. Bei Hufelschulte schienen ganz persönliche Veränderungen vorzugehen. Mancher Kollege bemerkte es und fragte sorgenvoll nach seinem Befinden.
Fußnote: Derselbe Hufelschulte rückte 2007 in den Mittelpunkt des Medieninteresses, weil er von ihm beschaffte BKA-Vernehmungsunterlagen des Privatagenten Werner Mauss an eben Werner Mauss für 4000 Euro verkaufte. Angeblich soll der selbständige Ermittler – unter den wachsamen Augen des BKA – an Hufelschulte weitere 18 000 Euro übergeben und noch mehr Behörden-Dokumente erhalten haben. Das führte zu einer sensationellen BKA-Pressekonferenz, in der Präsident Ziercke den Fall Hufelschulte einer atemlosen Öffentlichkeit vorstellte. In Bedrängnis geraten, schob Hufelschulte alles auf einen anonymen Nachrichtenhändler.
Bei mir war vorher schon alles so gekommen, wie es irgendwann kommen musste. Der 27. November 2004 war ein Tag wie viele andere, und doch sollte er für mich schicksalhaft sein. Ich arbeitete in der Münchner FOCUS-Zentrale. Am Abend kehrte ich nach Hause zurück und fand dort ein Fax, das man mir ohne weiteres auch in der Redaktion hätte geben können. Es brachte mich zum Staunen.
Das FOCUS-Fax:
Kündigung
Sehr geehrter Herr Dietl,
wir kündigen hiermit das mit Ihnen bestehende Vertragsverhältnis fristlos. Die Zusammenarbeit mit Ihnen ist für uns nicht mehr zumutbar.
Obwohl Sie die Kündigungsgründe kennen müssen, bin ich bereit, sie in einem Gespräch darzulegen.
Die Kündigung wirkt sofort.
Wie in der Praxis allgemein üblich, kündigen wir hiermit vorsorglich auch ordentlich. Wir behalten uns vor, Schadensersatz- und eventuelle sonst noch bestehende Ansprüche geltend zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Markwort
München, den 29.11.2004
Meine Antwort am 2. Dezember 2004:
Sehr geehrter Herr Markwort,
ich habe Ihr Schreiben vom 29. November 2004 erhalten. Herzlichen Dank für ihr Angebot, gemeinsam über die Kündigungsgründe zu sprechen. Ohne Zweifel wäre es mir lieber gewesen, wenn wir dieses Gespräch zuerst geführt hätten. Ungeachtet dessen bitte ich Sie höflichst, mir die Ursachen der Kündigung vorab schriftlich darzulegen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüßen
Wilhelm Dietl
Keine Antwort von FOCUS. Daraufhin war ich gezwungen, eine Anwaltskanzlei für Arbeitsrecht zu konsultieren. Ich fand die passende Adresse in der FOCUS-Ausgabe 45/04. Die Titelgeschichte befasste sich – mit Arbeitsrecht. In jenem Heft begann wieder eine jener unsäglichen Anwaltsserien (alternativ: Ärzteserien). Immerhin brachte es soviel Nutzwert, dass auf Seite 186 die Regensburger Kanzlei Schild, Weinmann & Kollegen erwähnt wurde. Ein Treppenwitz der Geschichte. Regensburg kam geographisch in Frage, weil es für mich leicht zu erreichen ist.
Meine Anwälte teilten FOCUS mit, dass die Kündigung unwirksam sei. Eine ordentliche Kündigung könne erst zum 15. Dezember 2005 rechtswirksam erfolgen. So lange sei der aktuelle Arbeitsvertrag gültig. Das Arbeitsverhältnis müsse also weiter bestehen – oder mit 2000 Euro pro Monat ausbezahlt werden. Insgesamt also 25 000 Euro bis zum Ende der Laufzeit. FOCUS bekam eine Frist zum 31. Dezember 2004.
Am 30. Dezember meldeten sich die FOCUS-Anwälte: „Die Kündigungsgründe werden Ihnen mitgeteilt werden. ..... Die Vorwürfe, die gegen Ihren Mandanten erhoben werden müssen, sind derart schwerwiegend, dass sich Verhandlungen über einen Vergleich verbieten."
Ein weiteres Schreiben meiner Anwälte brachte keine Reaktion von FOCUS. Unsere Neugier war kaum mehr zu bezähmen.
Also reichten wir am 11. Februar beim Amtsgericht München eine sogenannte Auskunftsklage ein, um wenigstens zu erfahren, warum mir Markwort eine Kündigung geschickt hatte. Außerdem hatte FOCUS sämtliche rechtlichen Vorschriften fahrlässig (oder absichtlich?) missachtet. Die Kündigung war ausschließlich per Fax gekommen, also nicht im Original. FOCUS hatte keine Gründe angegeben und auch den Wunsch nach einem persönlichen Gespräch ignoriert.
FOCUS reagierte, indem es den Streitwert von 2600 auf 5200 Euro verdoppeln ließ. Dadurch wurde das Verfahren an das Landgericht München I überwiesen.
Termin: 23. Mai 2005.
Schließlich, unter Druck geraten, trat die Gegenseite den Rückzug an. In einem Schriftsatz vom 2. Mai 2005 verkündete die FOCUS vertretende Kanzlei Schweizer ganz erstaunliche Gründe:
  1. FOCUS zitierte aus unserem abgeänderten Arbeitsvertrag, der ab 15. Dezember 2003 galt. Darin hieß es: „Wir erhalten die erste Option auf sämtliche Ihrer Themen. Üben wir diese aus, vergüten wir die Leistung zu üblichen Honorarsätzen mit der Maßgabe, dass Vergütungsansprüche bis zur Höhe der monatlichen Kostenpauschale von 2000 Euro als abgegolten gelten." Nun habe FOCUS feststellen müssen, dass der „Stern" in seiner Ausgabe 48/04 in der Autorenzeile des Artikels „Vor dem Sturm?" (Islamisten in Deutschland) den Namen Wilhelm Dietl unter „Mitarbeit" aufgeführt habe. Dietl habe vorher weder Recherchen noch Ergebnisse zu diesem Thema der Redaktion FOCUS angeboten gehabt.
  2. Den Rest muss man im Wortlaut lesen, um das Ungeheuerliche wenigstens in Ansätzen zu ahnen: „Der Kläger, in der FOCUS-Redaktion auf den Mittleren Osten spezialisiert, hatte ganz offensichtlich eine Kollegin beim irakischen Geheimdienst denunziert. Ungefähr eineinhalb Jahre vor dem dritten Golfkrieg gelang es der FOCUS-Reporterin Sachse erstmals, in den Irak einzureisen. Dazu bedurfte es besonderer Kontakte, da das damalige Baath-Regime sonst keinen westlichen Journalisten die Einreise gestattete. Frau Sachse war es gelungen, einen derartigen Kontakt herzustellen, der ihr journalistische Kontakte zu hohen Repräsentanten, wie beispielsweise dem langjährigen Außenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Tariq Aziz verschaffte. Ihr ist aus der damaligen Zeit noch erinnerlich, wie eifrig der Kläger versuchte, mit ihr engeren Umgang zu finden. Monate nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen rief der irakische Kontaktmann Frau Sachse völlig aufgeregt an: In der Hinterlassenschaft des Baath- Regimes seien Unterlagen des irakischen Geheimdienstes aufgetaucht, die dessen Zusammenarbeit mit dem Kläger dokumentierten. Nach diesen Berichten habe der Kläger Sie, Frau Sachse, nicht nur als BND-Agentin denunziert, sondern auch behauptet, mit ihm, dem irakischen Gewährsmann, ein sexuelles Verhältnis zu unterhalten. Unter den damaligen Umständen hätte dies für ihn, den irakischen Gewährsmann, sein Todesurteil bedeuten können, da das Baath-Regime derartige Kontakte zu westlichen Ausländern, insbesondere zu Journalisten, strikt unterbunden hätte. Die Konsequenzen für sie, Frau Sachse, wären bei einer eventuellen Wiedereinreise in den damaligen Irak ebenso gravierend-unübersehbar gewesen. Entgolten worden sei der Kläger nach diesen Unterlagen in amerikanischer Währung.
  3. "FOCUS bot dem Gericht die in arabischer Sprache abgefasste Dokumente und die Einvernahme der Redakteurin Katrin Sachse an. Ein Zitat aus einem weitgehend unbekannten Pressekode rundete das Schreiben ab: „Nachrichtendienstliche Tätigkeiten von Journalisten und Verlegern sind mit den Pflichten aus dem Berufsgeheimnis und dem Ansehen der Presse nicht vereinbar." (Richtlinie 6.2.).
Nun war die Katze endlich aus dem Sack.
Wir standen am Beginn einer gewaltigen Rufmordkampagne, die später nur durch den sogenannten „Schäfer-Bericht" übertroffen werden konnte.
Zwei Wochen später erfuhr ich von diesem Vorgang durch Andreas Förster von der „Berliner Zeitung". Förster, einschlägig erfahren in der Berichterstattung über Geheimdienste, wusste, dass sich bereits die Bundesanwaltschaft mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt hatte. In einer eMail stellte er mir einige Fragen, deren Antworten er für einen Artikel benötigte. In der Mail hieß es; „Die Unterlagen wurden sowohl vom BND als auch von der Bundesanwaltschaft geprüft. Der GBA führte über mehrere Monate hinweg ein ARP-Verfahren gegen Sie wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Tätigkeit, dass aber in diesem Frühjahr eingestellt wurde. Grund war, dass die Authentizität der irakischen Unterlagen nicht eindeutig geklärt werden konnte. Ich hatte mich seit dem vergangenen Herbst wiederholt in Karlsruhe nach dem Fortgang des Verfahrens erkundigt."
Mein nächster Schritt war klar: Ich wandte mich noch am selben Tag an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und begehrte Erklärungen wie auch Akteneinsicht. Die Bundesanwaltschaft reagierte rasch und unbürokratisch. In dem Antwortschreiben hieß es: „Die entscheidende Frage der Authentizität der Schriftstücke konnte nicht geklärt werden. In seinem Behördenzeugnis, um dessen Erstellung ich ersucht hatte, kam der Bundesnachrichtendienst letztlich zu dem Ergebnis, dass ohne Kenntnis der Aufkommensart eine abschließende Klärung dieser Frage nicht möglich sei.... Da bei dieser Sach- und Beweislage keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, Sie könnten Mitarbeiter des ehemaligen irakischen Nachrichtendienstes gewesen sein, habe ich den Vorgang mit Verfügung vom 25. Oktober 2004 geschlossen."
Zwei Erkenntnisse: Das war also nur ein Freispruch zweiter Klasse, ein wichtiger Grund, Ursachenforschung zu betreiben. – FOCUS hatte seine Kündigung auf einen Vorgang gestützt, den sogar die höchsten Ankläger der Republik vier Wochen vorher ad acta gelegt hatten. Ein seltsames Rechtsverständnis im Hause Markwort.
Was muss zu dieser abstrusen Kündigung noch gesagt werden?
Am 12. November 2004 war ich bei der Hanns-Seidel-Stiftung in München zu einem Expertengespräch „Neue Strategien in der Terrorismus-Bekämpfung" eingeladen. Den gleichnamigen Eröffnungsvortrag hielt Günther Beckstein, damals Innenminister von Bayern. Ich fuhr aus eigener Initiative zu der Veranstaltung, nicht im Auftrag von FOCUS. Außerdem wollte ich den „Stern"-Redakteur Georg Wedemeyer treffen. Mit ihm arbeitete ich damals an einem Artikel, der später im „Stern" erscheinen sollte (was ich vorher mit FOCUS abgeklärt hatte). Wedemeyer war letztlich verhindert, weil er besagten Artikel „Vor dem Sturm?" schreiben musste. Da er nicht kam, telefonierten wir kurz über Handy.
Er fragte mich: „Was sagt denn der Beckstein?" Meine knappe Antwort: „In Köln ist nächsten Sonntag eine islamische Großdemo gegen Terror und für Solidarität mit dem Rechtsstaat geplant. Das ist ein gutes Zeichen." Diese beiden Beckstein-Sätze fanden sich nachher in dem „Stern"-Artikel. Wedemeyer reihte meinen Namen ohne mein Zutun unter 14 Zuarbeitern ein. Er wollte mir damit einen Gefallen tun. Redaktionen schmücken sich bei solchen Sammelberichten gerne mit vielen Namen, um zu zeigen, wie eifrig und breit gefächert man an einem Thema gearbeitet hat. Ich hatte also nicht gegen die Vertragsklausel mit FOCUS verstoßen, weil das von Anfang an nicht „mein Thema" war und weil ich dem „Stern" kein Thema „Islamisten in Deutschland" vorgeschlagen und auch nicht daran „gearbeitet" hatte. Es gab weder Recherchen noch „Ergebnisse".
Spontan war ich überrascht, den Namen Katrin Sachse im Zusammenhang mit der Irak-Intrige zu finden. Ich hatte, als ich von Andreas Förster den Grundvorwurf gehört hatte, zuerst an eine andere Kollegin gedacht, die regelmäßig für FOCUS über den Krisenherd berichtete. Katrin Sachse hatte das Land bis dahin nur einmal besucht, und im Prinzip keinerlei Bezug zur Region. Mich verband mit ihr eine Art kollegiale Freundschaft. Ich schätzte sie und plauderte mit ihr etwas länger, als mit anderen. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten hatten wir sogar schon ein Konzert besucht, uns bei gemeinsamen Freunden zum Essen getroffen.
Undenkbar, dass ich Katrin Sachse in ein schiefes Licht bringen würde. Undenkbar, dass ich sie mit dem BND in Verbindung bringen würde. Schließlich konnte ich sehr wohl beurteilen, wie Nachrichtendienstliche Verbindungen mit dem BND aussehen, worauf es dabei ankommt und wie solche Quellenverhältnisse abgewickelt werden. Ich hatte lange genug Quellen geführt. Katrin Sachse kümmerte sich im Alltagsbetrieb um bunte Lifestyle-Themen. Uninteressant für den BND. Für den BND sind auch Quellen unbedeutend, die nur einmal in ein Zielland reisen, und dann auch noch hermetisch eingehüllt in die dortige staatliche Fürsorge. Hätte ich über BND-Kontakte bei FOCUS nachdenken müssen, auf Katrin Sachse wäre ich nie gekommen.
Warum ich das so ausführlich schreibe? Weil es nie eine Chance gab, es ihr selbst zu erklären. Gesprächsversuche mit Katrin Sachse sind seither fehlgeschlagen. Sie ist verhetzt und leider nicht selbständig genug, einen klärenden Kontakt zu suchen.
Nach und nach konnte ich den Weg der „irakischen Geheimpapiere" klären, die übrigens von FOCUS dem Landgericht nicht zur Verfügung gestellt wurden – genauso wenig wie die angebotene Zeugin Katrin Sachse. Die fünf arabischsprachigen Blätter tauchten 2003 exklusiv bei FOCUS auf. Eine Quelle könnte der im Text erwähnte Rafik Aras Mohammed Said Afrasiyab sein. Das Magazin verweigerte der Bundesanwaltschaft die Auskunft, wie es in den Besitz der Dokumente gekommen ist. FOCUS übergab die Blätter an den Bundesnachrichtendienst, nach amtlicher Auskunft direkt an den Präsidenten August Hanning. Am 20. Dezember 2003 reichte der BND sie an das Landeskriminalamt Bayern weiter. Das LKA war besonders schnell. Noch am selben Nachmittag ging eine Kopie an das Innenministerium Bayern und an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Damit war das Thema in München beendet.
Siehe Links zu den Originalen, zu den Übersetzungen und zur Stellungnahme des BND.
Im Jahr 2005 begann eine beispiellose FOCUS-Schmutzkampagne gegen Norbert Juretzko, mich und das geplante Fortsetzungsbuch zu „Bedingt dienstbereit". Immer wieder stellten wir fest, dass Josef Hufelschulte im Hintergrund die Fäden zog. Als Hufelschulte in der „Berliner Zeitung" seine Anti-BND-Kampagne startete und sich dabei selbst in die Opferrolle des Bespitzelten einbettete, fand er wieder einen Dreh, uns zu bedenken. Hufelschulte („Ich wollte ja nur ein bisschen Dankbarkeit, vielleicht in Form eines Kaffees oder einer Bockwurst...") publizierte in der Ausgabe 47 vom 21. November 2005 einen Artikel mit der Überschrift „Versteckte Kamera". Unterzeile: „BND-Aussteiger Norbert Juretzko schreibt anhand unterschlagener Geheimakten neues Enthüllungsbuch". Diese völlig frei erfundene Behauptung wurde in mehreren Variationen wiederholt („sitzt offenbar auf Zentnern kompromittierenden Materials"). Auch andere Unterstellungen brachten den Autor an den Rand einer Hausdurchsuchung: „Delikate Filme aus dem Agentenmilieu, so munkelte er drohend im Bekanntenkreis, könnten jederzeit im Privat-TV ausgestrahlt werden." Der einstige FOCUS-Schreiber für ganz besondere Themen war zum Meister des Rufmords geworden, und das auf niedrigstem journalistischen Niveau. Dafür stand er übrigens im Sommer 2006 wegen übler Nachrede vor Gericht, kam aber dann mit einer Geldbuße viel zu milde davon.
Was ist sonst noch passiert 2005?
Am 7. Juli 2005 habe ich bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, insbesondere wegen falscher Anschuldigung, übler Nachrede und Verleumdung. Das Verfahren wurde eingestellt, als kein Täter ermittelt werden konnte.
Am 8. Juli 2005 schrieb ich erneut an Helmut Markwort und informierte ihn über diese Strafanzeige. Gleichzeitig bat ich wieder um ein persönliches, klärendes Gespräch. Darauf kam auch diesmal keine Antwort.
Am 13. Juli 2005 reichten meine Anwälte beim Landgericht München I Klage gegen die FOCUS-Kündigung ein.
Näheres unter der Rubrik „Recht und Unrecht".
Ein Blogger namens Jochen Hoff schrieb 2006: „Auf jeden Fall ist jetzt Schluss mit den Fakten, Fakten und nochmals Fakten. Man muss doch mal an die Inserenten denken. Die haben dem FOCUS schließlich einen Auftrag zur Verbreitung der neoliberalen Religion erteilt. Außerdem muss man doch mal an die Leser denken. Wenn die jetzt anfangen darüber nachzudenken, was der FOCUS über seine Leser denkt und welche Kost er ihnen serviert, dann denken die vielleicht darüber nach, das Blättchen gar nicht mehr zu kaufen. Dann müssten Helmut Markwort und seine Mitarbeiter ihren Posten als neoliberale Hassprediger aufgeben und eventuell sogar arbeiten. Das gilt es mit aller Macht zu verhindern. Vielleicht sollte sich Markwort um die Rechte an den Hitlertagebüchern kümmern. Ach nein. Das hat ja schon der Stern erledigt. Aber wo sind eigentlich Gehlens Tagebücher. Mit den Beziehungen des FOCUS zum BND müssten die doch leicht aufzutreiben sein."
P.S.: Es ist höchste Zeit, die ersten 15 Jahre FOCUS-Existenz kritisch und in Buchform zu würdigen. Dieses Projekt bereite ich gerade vor und bin für alle weiterführenden Informationen dankbar - auch aus der Redaktion FOCUS.
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