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Ostbayerisches Magazin Lichtung

Polit-Journalist Wilhelm Dietl ist ein international anerkannter Experte für Terrorismusforschung und Geheimdienste — und geriet selbst ins Visier des BND
Früher war an dieser Stelle ein Swimmingpool. Nun ist das geflieste Becken von unten bis oben mit Regalen voller Bücher, Akten und Zeitungsartikeln vollgepfropft. „Sie sehen hier Deutschlands vermutlich größtes Privatarchiv", erklärt Polit-Journalist Wilhelm Dietl stolz. Mehrere tausend Bände sind in der ehemaligen Schwimmhalle aufgereiht, sortiert nach Themen wie Terrorismus, Geheimdienst, Naher und Mittlerer Osten oder RAF. Dazwischen die gesammelten Ausgaben des „Spiegel" und von „National Geographic", wahre Antiquariatsschätze. Oft kommen Kollegen in das verträumte Bergdorf Sattelpeilnstein (Landkreis Cham), um sich über Dietls Spezialthemen zu informieren (,‚keine andere Bibliothek ist in diesen Bereichen so gut bestückt"). Und: Das Archiv wächst kontinuierlich an. Dietl erwirbt jede in Frage kommende Neuerscheinung, eine Angestellte forstet täglich die wichtigsten Zeitungen durch, und füllt die Ordner mit weiteren Artikeln.
Seit 1993 lebt der international anerkannte Terrorismusforscher und erfolgreiche Bestsellerautor zurückgezogen in Sattelpeilnstein. Als 1998 der pompöse 70er-Jahre-Bungalow eines bankrotten Bauunternehmers versteigert wurde, gab die Schwimmhalle mit gigantischen Ausmaßen (,‚der ideale Platz für meine Sammlung") den Ausschlag für einen Umzug am Ort. Vier seiner bisher zwölf veröffentlichten Bücher sind hier entstanden, das 13., eine Arbeit über Frauen im Geheimdienst, hat er in Angriff genommen und soll bis August beendet sein.
Terrorismus — etwas anderes als Gemeinderatssitzungen
Wilhelm Dietl hat es als Journalist von den Niederungen des Lokaljournalismus bis in die Spitzenränge geschafft. Er volontierte bei der Kötztinger Zeitung und dem Konkurrenzblatt Mittelbayerische Zeitung (MZ) in Furth im Wald, arbeitete als Redakteur bei der MZ in Neumarkt! Oberpfalz, Amberg und Regensburg. Später war er Redakteur der Süddeutschen Zeitung und lange Zeit flur Quick, Stern, Spiegel und Focus in der ganzen Welt unterwegs. Früh profilierte sich der übergewichtige Zwei-Meter Mann mit seinen Recherchen über Terrorismus. Warum dieses Thema? „Die 70er Jahre standen im Zeichen des Terrorismus", holt Dietl aus, während er sich Pfefferminztee in einen großen Plastikbecher schüttet. Die Entführung von HannsMartin Schleyer, dem ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten in der BRD, durch die RAF, die Flugzeugentführung der Lufthansa nach Mogadischu 977, die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback. Noch als Dietl bei der MZ arbeitete, fuhr er 1973 aus privatem Interesse nach Berlin zum Prozess gegen die RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. „Das war eine schwierigejournalistische Herausforderung, etwas anderes als eine Gemeinderatssitzung."
Kontakte — das A und 0
Die Suche nach journalistischer Herausforderung führte dazu, daß der gebürtige Kötztinger fast die gesamten 80er Jahre im Nahen Osten verbrachte. Im Dienste der Quick (,‚damals war das Blatt noch seriös, als sich das geändert hat, bin ich gegangen") berichtete er aus Afghanistan und später dem Libanon. Der Vollblut-Journalist mit grünen Augen kann sich noch gut an seine erste Reise in den Libanon erinnern: Spät abends sei er am völlig zerschossenen Flughafen in Beirut angekommen, dann sofort mit dem Taxi ins Journalistenhotel gefahren. „Als es am nächsten Tag hell wurde, sah ich überall nur Ruinen und hörte immer wieder ballernde Kalaschnikows." Der erste Weg führte ihn in die deutsche Botschaft und dort begann er, was der wohl wichtigste Bestandteil seiner Arbeit ist: „Kontakte knüpfen und Beziehungen aufbauen ist das A und 0". Noch heute trifft sich der Globetrotter mit Leuten, die er damals kennen gelernt hat. Auch wenn einige davon zwischenzeitlich ungewöhnliche Karrieren hinter sich haben. Wie Saeb Erakat, den Dietl als Studentensprecher getroffen hat und der dann Sprecher von Arafat und Minister im palästinensischen Kabinett wurde.
Nicht alle Kontakte aus den 80er Jahren überdauerten. „Einige Bekannte von damals wurden erschossen oder in die Luft gesprengt", erzählt Dietl mit sachlieber Stimme. War sein Leben ebenfalls bedroht? „Ja, beim israelischen Feldzug in Libanon 1982 geriet ich unter Beschuß, bin aber nicht verletzt worden." Auf die Frage, ob man sich nicht spätestens dann einen ungefährlicheren Beruf wünscht, antwortet er lakonisch: „Das darf man nicht persönlich nehmen." Während er sich wieder Pfefferminztee einschenkt, fügt er erklärend hinzu: „Die Risiken damals waren überschaubar. Journalisten wurden geachtet und konnten gefahrlos zwischen den verfeindeten Parteien hin- und herpendeln. Die PLO gab journalistische Erklärungen ab, bedrohte aber keine Journalisten." Heute sei es ungleich gefährlicher: „Der al-Qaida geht es nur darum, viele Leute zu erwischen. Die meisten glauben, Reporter arbeiten für den Gegner oder Geheimdienst, da nimmt keiner Rücksicht auf ein Menschenleben." Dietl betont: „Ich würde jetzt auf keinen Fall in den Irak reisen."
Dem BND auf die Zehen getreten
Mit der Zeit lernte Dietl auch Leute aus dem Geheimdienst kennen. „Die Deutschen sind da etwas g'schamig", erklärt er schmunzelnd. So habe der BND in vielen Ländern einen legalen Residenten und einen illegalen, der im Verborgenen spioniert. Der CIA dagegen agiere offener und flexibler (,‚die stellen sich ohne weiteres als Consultant der CIA vor"). Ausgiebig beschäftigte sich Dietl mit dem Mossad, dem israelischen Geheimdienst mit Sitz in Tel Aviv. In seinem Buch „Der Jäger/Operation Eichmann: Was wirklich geschah" trug er akribisch alle Fakten darüber zusammen, wie der Mossad den Nazi Adolf Eichmann in Argentinien aufgespürt und ihn nach Israel entführt hat. Für Furore sorgte im vergangenen Jahr die Veröffentlichung von „Bedingt dienstbereit/Im Herzen des BND — die Abrechnung eines Aussteigers". Darin bricht Norbert Juretzko, ehemaliger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, seine Schweigepflicht und berichtet über Pannen, Pech und Pleiten im bürokratischen Apparat des deutschen Geheimdienstes. „Als der BND von der Veröffentlichung des Buches erfuhr, erstattete er Anzeige wegen Landesverrats", berichtet Dietl. Als Bundesanwälte das Manuskript lasen, fanden sie jedoch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für diese Anklage. Die Anzeige wurde fallen gelassen, doch die Aufregung im Vorfeld sorgte dafür, daß „Bedingt dienstbereit" mit einem Satz auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste empor schnellte.
Beim BND hat sich Dietl mit dieser Arbeit keine Pluspunkte geholt. „Da wird man schnell in Sippenhaft genommen, obwohl ich nur Co-Autor war." Seitdem steht er selbst im Visier des Geheimdienstes. „Ich gehe davon aus, daß meine Datenübertragung überwacht wird", meint er gelassen, „aber da bin ich völlig leidenschaftslos. Sensible Gespräche führe ich nie vom Handy oder von zu Hause aus.
"Jüngstes Projekt: Frauen im Geheimdienst
Um Spione und Agenten weltweit geht es auch in Dietis jüngstem Projekt, dieses Mal um ihre weiblichen Vertreter. In „Frauen im Geheimdienst", das im Frühjahr 2006 im Ullstein Verlag veröffentlicht wird, schreibt der Profi-Autor die Biografien und Erlebnisse von zwölf außergewöhnlichen Persönlichkeiten nieder. „Es gibt nicht viele erfolgreiche Frauen in dieser Branche", erzählt Dietl, „die brauchen harte Ellbogen, um sich in einer derartigen Machowelt durchzusetzen." Ein Abschnitt ist Stella Rimington gewidmet, die 1965 als Aushilfssekretärin beim britischen Inlandsgeheimdienst M15 begann und sich zur ersten weiblichen Chefin des M15 mauserte. Ein weiterer Artikel beleuchtet die Rolle von Dominique Prieur, die die Mit-Verantwortung für die Versenkung des Greenpeaceschiffes „Rainbow Warrior" vor Neuseeland trug, einen Anschlag des französischen Geheimdienstes im Jahr 1985, der einen Menschen das Leben kostete. Dietl werde als Erster aufzeigen, wer diesen Anschlag wirklich in Auftrag gegeben hat. „Eine kleine Sensation", wirbt er für sein neues Buch.
Die Frage drängt sich auf, wie er Leute zum Reden bringt, die bisher beharrlich geschwiegen haben. „In diesem Fall war der Preis ein sehr teueres Abendessen in Paris", verrät er grinsend. Selten sei Geld die Motivation, auszupacken. „Meistens handelt es sich um Bauernopfer mit groß angelegten Intrigen, die aus Rache mit dem wahren Sachverhalt rausrücken."
Im Gegensatz zum penibel geordneten Archiv herrscht in Dietls Büro heilloses Durcheinander. Nachts sitzt er hier am PC und klopft in Rekordgeschwindigkeit in die Tastatur. Notizbücher und Unterlagen liegen wahllos übereinander gestapelt, Berge von Fotos sind achtlos in Schubläden gequetscht. Silbern eingerahmt ein Bild, das Dietl und Arafat beim Interview zeigt, signiert von Arafat. Auffallend auch das Gruppenfoto mit Dietl inmitten mehrerer bärtiger, schwer bewaffneter Männer. „Das war im Juni 2000 bei einem Treffen mit den Mudschahedin an der aufwändig gesicherten Grenze zwischen Pakistan und Indien. Ich war einer der wenigen Reporter, die bis dorthin vordringen und den Kaschmir-Konflikt zwischen den beiden Atommächten hautnah miterleben konnten." Wie er das geschafft hat? „Kontakte, ein gutes Netzwerk, alles andere ergibt sich wie von selbst."
Langeweile ist für den umtriebigen Reporter ein Fremdwort. Weitere Bücher sind in Planung. Immer wieder ist er in Fernsehbeiträgen als Sachverständiger gefragt, seit 2003 ist er zusätzlich Mitbegründer und stellvertretender Leiter des Essener Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Er beteiligt sich an Konferenzen, hält Vorträge oder berät Firmen, die in Krisenregionen stationiert sind.
Durch seine Arbeit hat Dietl sich manch einen zum Feind gemacht, in der Uberzahl aber Freunde gewonnen — aus aller Herren Ländern. Ani 13. September werden sie alle nach San Francisco anreisen, dort will Dietl seinen 50. feiern. „Nachdem ich 49 Jahre lang nie an meinen Geburtstag gedacht habe, soll dieses Fest etwas ganz Besonderes werden", schwärmt er. Warum ausgerechnet San Francisco? „Weil das die schönste Stadt auf der ganzen Welt ist."
DORIS ZITZELSBERGER
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